Was kann Osteopathie bei Blasenentzündungen tun?
17.10.24Laut einer Auswertung des ICD-10 waren 2022 über 35.000 Menschen aufgrund einer Blasenentzündung (auch Zystitis genannt) in vollstationärer Behandlung. Von dieser Krankheit sind dabei jedoch Frauen etwa viermal häufiger betroffen als Männer. Auch BVO-Mitglied Benjamin Hartlieb begegnet ihnen in seiner Osteopathie-Praxis, besonders jenen, die unter einer chronischen Blasenentzündung leiden. Dabei kann die Osteopathie bei der Behandlung eine wertvolle Unterstützung sein.
Blasenentzündung in der Osteopathie-Praxis
In einem früheren Blog-Beitrag haben wir bereits geschildert, warum Frauen öfter von einer (chronischen) Blasenentzündung betroffen sind, welche Risikofaktoren es gibt und was Patienten selbst tun können. Im Interview mit dem BVO verrät Benjamin Hartlieb, der als Heilpraktiker und staatlich anerkannter Osteopath in eigener Praxis in Pforzheim tätig ist, wie die Osteopathie diesen Patientinnen hilft – und verrät, dass auch Männer immer häufiger darunter leiden.
Wann kommen Patienten zu Ihnen in die Osteopathie-Behandlung?
Tendenziell kommen eher Frauen vor der Menopause aufgrund von Beschwerden im Beckenbereich. Was jedoch nicht bedeutet, dass nicht auch ältere Frauen mit Blasenentzündung (Zystitis) in der osteopathischen Praxis behandelt werden – dabei können Patientinnen in jedem Lebensalter von der Osteopathie profitieren.
Ich vermute, dass eher bei jüngeren Menschen die Osteopathie als Behandlungsoption bei wiederkehrenden Blasenentzündungen schon stärker im Bewusstsein angekommen ist. Dass sich ein Mann aufgrund einer Blasenentzündung in osteopathische Behandlung begibt, ist eher die Ausnahme.
Die meisten Patientinnen kommen jedoch oft erst dann, wenn sich bereits ein chronischer Zustand ausgebildet hat und die Blasenentzündungen in regelmäßigen Abständen wiederkommen.
Warum denken Sie, kommen Männer eher seltener zu Ihnen in die Praxis?
Obwohl sich hier in den letzten Jahren einiges getan hat, sind Symptome im urologischen Bereich weiterhin eher tabuisiert. Dementsprechend gibt es oft auch Hemmungen entsprechende Beschwerden zu benennen und in der Folge auch behandeln zu lassen. Das scheint Frauen leichter zu fallen als Männern.
Männer äußern außerdem oft erst im Rahmen der Anamnese, wenn ich gezielt nachfrage, Beschwerden im Becken oder im urologischen Bereich.
Gehen Sie bei der Anamnese und osteopathischen Behandlung bei Männern und Frauen gleich vor?
Ja, egal, ob Mann oder Frau: Beide begleite ich stets mit einer vertrauensvollen und offenen Aufklärung. Mir ist es wichtig, zu schildern wie die osteopathische Untersuchung und Behandlung im Bereich des Beckens abläuft. So kann ich auf die Rückmeldungen meiner Patientinnen und Patienten gleichermaßen eingehen.
Es kann sein, dass es für den männlichen Patienten angenehmer ist, wenn ein männlicher Osteopath behandelt. Umgekehrt fühlen sich oft weibliche Patientinnen bei einer Osteopathin wohler.
Beschreiben Frauen und Männer die gleichen Probleme bzw. Beschwerden?
Die geschilderten Symptome ähneln sich bei beiden Geschlechtern. Sie reichen von Blasenfunktionsstörungen bis hin zu Beckenschmerz-Syndromen.
Es gibt natürlich Häufungen, die bei Männern vor allem der Prostata zuzuordnen sind. Bei Frauen spielt die Schwangerschaft und deren Nachwirkungen im Hinblick auf Geburtsverletzungen oft eine entscheidende Rolle.
Eine Blasenentzündung unterteilen wir in verschiedene Kategorien, zum Beispiel, ob sie eine bakterielle Ursache hat oder wie sie verläuft – akut oder chronisch. Nach diesen Gesichtspunkten ordne ich die Beschwerden zu. Dabei finde ich in meiner osteopathischen Praxis ganz klar häufiger chronische Blasenentzündungen vor.
Kann die Osteopathie bei akuter und chronischer Blasenentzündung unterstützen?
Ich kann mir vorstellen, dass auch bei einer akuten Zystitis osteopathische Techniken einen wertvollen Dienst leisten können.
Die besten Erfahrungswerte liegen jedoch bei der Behandlung chronischer Blasenentzündungen vor. In vielen Fällen gibt es ja einen Grund, warum es zu wiederkehrenden Entzündungen kommt. Statt jeder Blasenentzündung mit der Gabe von Antibiotika zu begegnen, kann es aus meiner Sicht sinnvoll sein, nach anderen Ursachen für die wiederkehrenden Entzündungen zu suchen. Daher ist eine ausführliche Anamnese unabdinglich.
Wie sieht eine osteopathische Anamnese aus?
Da Osteopathie ja prinzipiell die anatomischen Zusammenhänge im gesamten Körper berücksichtigt, unterscheidet sich die Anamnese der Beschwerden im Unterleib nicht wesentlich von der bei anderen Problemen. Trotzdem frage ich hier nach Beschwerden in anderen Körperbereichen. Ebenso nach alten Verletzungen, Operationen, Medikamenten oder ähnlichem.
Wo setzt die Osteopathie dann – erstmal – an?
Mit den osteopathischen Techniken suche ich nach Bewegungseinschränkungen im Gewebe. So können Spannungen des Bindegewebes im Unterleib dazu führen, dass sich nicht nur die Beweglichkeit der Blase und der Harnröhre verändern, sondern auch die gesamte Versorgungssituation über Blut- und Lymphgefäße eingeschränkt ist. Mittel- bis langfristig können diese Zustände zu Problemen im Unterbauch führen.
Ursächlich für diese Bewegungseinschränkungen können blockierte Gelenke sein, bspw. als Folge von Stürzen und Verletzungen. Auch Verwachsungen im Gewebe nach Operationen und Entzündungen kommen als Ursache in Betracht. Diese Einschränkungen im Gewebe wollen wir als Osteopathen aufspüren und sanft lösen.
Also können – aus osteopathischer Sicht – auch andere Körperbereiche (chronische) Blasenentzündungen auslösen?
Ja, da gibt es viele Möglichkeiten. Nur durch eine umfassende Untersuchung werden meiner Meinung nach auch andere Ursachen überhaupt entdeckt. So kann es vorkommen, dass aufsteigende Spannungen aus dem Fuß den Beckenboden irritieren. Aus osteopathischer Sicht würde man diesen Zusammenhang ebenfalls berücksichtigen, um Symptome im Becken ganzheitlich anzugehen.
Häufig entsteht eine chronifizierte Zystitis aber auch durch Blockierungen im Bereich des Beckens oder der unteren Lendenwirbelsäule. Einen ungünstigen Einfluss auf die Spannungsverhältnisse im Beckenbereich bis hin in den Unterbauch kann auch eine Wirbelsäulenkrümmung (Skoliose) haben. Weiterhin denke ich auch an Spannungen und Verklebungen des Bindegewebes im Bereich der Gebärmutter, am Beckenboden oder am Dünn- oder Dickdarm. Selbst Kieferfehlstellungen ziehe ich in diesem Zusammenhang in Betracht.
Welche Faktoren spielen noch eine Rolle bei der Osteopathie-Behandlung?
Wichtig sind Ernährung, Bewegung und andere Lifestyle-Aspekte. Da es sich bei einer Blasenentzündung um eine Entzündung der Schleimhaut handelt, sind grundsätzlich alle Maßnahmen empfehlenswert, die zu einer gesunden Schleimhaut beitragen.
Ob nun gezielte Ernährungsempfehlungen ausgesprochen werden oder neben D-Mannose andere Methoden der Komplementärmedizin sinnvoll sind, spreche ich individuell mit dem Patienten oder der Patientin ab. Ähnlich ist es bei Bewegung. Für den einen ist Beckenbodentraining wichtig, für den andern eher Übungen auf einem Fitnesstrampolin.
Meiner Meinung nach sollten Empfehlungen aufgrund der unterschiedlichen und individuellen Ursachen daher immer persönliche Gegebenheiten und Lebenssituationen berücksichtigen. So spielen bspw. auch psychische Faktoren mit hinein. Allgemeine Ratschläge wie eine ausreichende Trinkmenge oder eine Auskühlung zu vermeiden, sind hilfreich, aber oft nicht ausreichend.
Welches Ziel sollte die osteopathische Behandlung haben?
In erster Linie sollten Spannungen im Bereich der Blase verbessert werden – z.B. indem Muskulatur, Bindegewebe, Gelenke und auch das Nervensystem behandelt werden. Wie schon erwähnt, ist auch eine gute Ver- und Entsorgung der Blasenregion durch Blut- und Lymphgefäße enorm wichtig, damit die natürliche Organfunktion weiterhin aufrechterhalten wird.
Gleichzeitig führt eine Lockerung des Gewebes ja auch dazu, dass sich die Nervenfasern entspannen: Die Blase ist dann weniger gestresst, weniger anfällig für Infektionen und füllt ihre natürliche Funktion auch wieder besser aus.
Quellen:
Statista, abgerufen am 6.2.2024
Interessantes über den/die Autoren
Benjamin Hartlieb
Seine Osteopathie-Ausbildung hat Heilpraktiker Benjamin Hartlieb bereits 2008 am College Sutherland abgeschlossen und ist seit 2008 in eigener Praxis in Pforzheim tätig, die auch akademische Lehrpraxis der Hochschule Fresenius ist.
Benjamin Hartlieb ist nicht nur staatlich anerkannter Osteopath, sondern auch Referent und Autor zu verschiedenen Gesundheitsthemen. Athleten der Special Olympics betreut er medizinisch und ist daneben auch regelmäßig in Gesundheits-Podcasts zu hören.
Jacqueline Damböck
Von Kindesbeinen an hat Jacqueline Damböck mit Gesundheitsthemen zu tun: Aufgewachsen in einer Massagepraxis und später Physiotherapie hat sie sich daneben schon immer für Medien und den Journalismus interessiert. Nach der kaufmännischen Ausbildung im Verlag absolvierte sie daher das Ressortjournalismus-Studium mit Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach.
Im Anschluss sammelte sie Erfahrungen als Fachredakteurin, freie Journalistin und Werbetexterin. Bevor sie zum BVO wechselte war sie Chefredakteurin der CO.med.
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