Osteopathie kurz nach der Geburt

30.06.21

Otto Rank, ein Schüler des berühmten Psychologen Sigmund Freuds, stellte 1924 die These auf, dass jeder Mensch bei seiner Geburt das größte Trauma seines Lebens erleide. Klar ist, dass die Entbindung einen unglaublichen Kraftakt für ein Baby darstellt und mit viel Stress verbunden ist. Nach Ansicht zahlreicher Kinderosteopathen behalten Säuglinge häufig ein leichtes Geburtstrauma zurück, sei es durch eine sehr intensive und schmerzhafte Geburt, den Einsatz einer Saug­glocke oder einen Kaiserschnitt. Die Folgen zeigen sich z.B. in einer stark angespannten Muskulatur, in andauerndem Schreien, Fütterungsstörungen oder Schlafproblemen. Eine osteopathische Behandlung der Neugeborenen kann dabei Abhilfe schaffen.

Osteopathie nach der Geburt
Osteopathie kann gerade Kinder, die mit Kaiserschnitt oder Sauglocke auf die Welt gekommen sind, bei ihrer Entwicklung und ihren Beschwerden unterstützen. Foto: BVO

Während Schwangerschaft und Geburt wirken enorme Kräfte auf den Körper eines Babys ein, insbesondere auf den Kopf- und Halsbereich. Da der Schädel bei Säuglingen sehr formbar ist, können die mechanischen Krafteinwirkungen und die Enge im Geburtskanal zu einer Verschiebung der Schädelknochen oder der oberen Halswirbel führen. Auch eine um den Hals gewickelte Nabelschnur kann die obere Halswirbelsäule beeinträchtigen und Gefäße und Nerven einengen. Doch nicht nur die Geburt, sondern auch der Platzmangel am Ende der Schwangerschaft kann bei Säuglingen später zu Beschwerden führen, denen mit Osteopathie entgegengewirkt werden kann. Ein Besuch beim Osteopathen direkt nach der Geburt ist daher sinnvoll, denn dieser kann Spannungen im Gewebe, Bewegungseinschränkungen sowie Blockaden schnell ertasten und behandeln.

Bei welchen Symptomen kann der Osteopath helfen?

Der Platzmangel im Mutterleib sowie die Enge des Geburtskanals können zu Bewegungseinschränkungen der Gelenke führen und sich auf verschiedenste Weise auf das Baby auswirken. Manche Säuglinge können ihren Kopf nur in eine Richtung drehen, was in der Folge auch das Stillen beeinflusst, da sie eine Brust bevorzugen. Auch kommt es vor, dass Neugeborene ihren Kopf nicht vollständig zur Seite drehen können und daher unter Umständen nicht ausreichend saugen. Diese Beschwerden sind nicht ungewöhnlich und können auf einen blockierten Halswirbel oder Spannungen im Schädelbereich zurückzuführen sein, die der Osteopath behandeln kann.

Häufiges Schreien und Einschlafprobleme können nach Auffassung der Osteopathie ebenfalls auf die Verschiebung der Schädelknochen zurückzuführen sein, wenn die Knochen auf nervale Strukturen drücken und dieser Druck für Schmerzen sorgt. Weitere typische, aber gut behandelbare Störungen sind z.B. Koliken oder Schluckbeschwerden, die v.a. bei Kaiserschnitt-Babys zu beobachten sind. 

Auch bei Neugeborenen, die keine Beschwerden aufzeigen, kann sich ein Besuch beim Osteopathen in den ersten drei bis vier Wochen nach der Geburt auszahlen. Denn nicht jede Einschränkung macht sich sofort bemerkbar. Doch je früher Funktionsstörungen oder Blockadern erkannt werden, desto leichter können sie korrigiert werden und können so auch später auftretenden Beschwerden vorbeugen.

Wie geht der Osteopath bei der Behandlung von Babys vor?

Eine osteopathische Behandlung bei Säuglingen wird sehr sanft ausgeführt. Während der Sitzung ertastet der Osteopath das Gewebe des Babys Schicht für Schicht und spürt so Verspannungen, Bewegungseinschränkungen und Funktionsstörungen auf. Er untersucht den Schädel, die Wirbelsäule, den Bauch und den Brustkorb sowie den Hüft- und Beinbereich. Durch leichten Druck der Hände können erspürte Blockaden beseitigt werden.

Die ganzheitliche Therapieform, die v.a. bei funktionellen Beschwerden helfen kann, nutzt einzig die Kraft der Hände und die dadurch aktivierten Selbstheilungskräfte des Körpers. Sie verzichtet auf die Einnahme von Medikamenten, weshalb sie besonders für Neugeborene eine optimale und schonende Behandlungsmethode darstellt. In der Regel sind vier Behandlungssitzungen bei Babys ausreichend, die in einem Abstand von zwei bis acht Wochen erfolgen. Häufig führen jedoch auch bereits zwei Behandlungen zum Ziel, da Säuglinge schnell auf die sanften Impulse reagieren.

Foto: BVO

Warum ist eine osteopathische Behandlung gerade bei Saugglocken- und Kaiserschnitt-Babys empfehlenswert?

Die mechanische Krafteinwirkung auf den formbaren Schädel des Babys wird bei einer Saugglocken- oder Zangengeburt nochmals erhöht. Zahlreiche Kräfte wirken gleichzeitig auf das Köpfchen des Säuglings ein. Selbst wenn sich die Schädelknochen äußerlich schnell nach der Entbindung zurückformen, können die bei der Geburt entstandenen Blockaden bestehen bleiben und zu Beschwerden führen.

Foto: Alena Ozerova / Shutterstock

Auch eine Geburt per Kaiserschnitt, die für das Baby vermeintlich schonender ist, kann späteres Leiden auslösen. Vor allem ein Notkaiserschnitt, bei dem das Kind aufgrund des Zeitmangels regelrecht aus dem Mutterleib „herausgerissen“ wird, stellt für das Nervensystem des Babys eine starke Belastung dar. Das kann Unruhe und Gereiztheit auslösen und zu einer Dominanz des „Moro-Reflexes“, bei dem Säuglinge ruckartig die Arme zur Seite strecken und die Finger spreizen, führen. Auch hier kann die Osteopathie durch gezieltes Handling zu einer Rückbildung des Reflexes führen. 

Aus Sicht der Osteopathie sollte bei Kaiserschnitt-Babys zudem der natürliche Weg durch den Geburtskanal nachgeahmt werden, was durch zweckgerichtete Therapiemaßnahmen zumindest in Ansätzen erreicht werden kann. Der Grund hierfür ist, dass der Stress, die Hormonausschüttung und die Aussendung von Nervenbotenstoffen, die bei einer natürlichen Entbindung von Statten gehen, die Reifung der Organe beschleunigen.

Eine Behandlung beim Osteopathen ist daher v.a. Kindern zu empfehlen, die unter Komplikationen oder nicht auf natürlichem Weg zur Welt kamen.

Wollen Sie mehr über Osteopathie bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Babys erfahren? Dann empfehlen wir Ihnen unsere Artikelreihe zu diesen Themen.


Gibt es Kliniken, die Osteopathie für Neugeborene anbieten?

In Deutschland gibt es nicht viele Kliniken, die Osteopathie bei Neugeborenen anbieten (z.B. die Frauenklinik des Klinikums Kulmbach). Jedoch gibt es zahlreiche Osteopathen, die in eigenen Praxen Behandlungen für Babys leisten.

Einen geeigneten Osteopathen für Ihr Baby finden Sie über das Suchfeld auf unserer Website.


Interessantes über den/die Autoren


Anja Reinhardt

Seit 2016 führt Anja Reinhardt eine eigene PR- und Contentagentur im Hotel-, Tourismus- und Gesundheitsbereich. Schon während ihres Studiums der Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt Public Relations hat sie erste Erfahrungen im PR-Bereich gesammelt. Danach war sie u.a. bei der Bayern Tourismus Marketing GmbH und als stv. Geschäftsführerin des Oberbayern München Tourismus e.V. tätig. Online-Texte, PR-Konzepte und Social Media sind ihr täglich Brot – inkl. einem besonderen „G’spür für Geschichten“.

Für den BVO-Blog „Osteopathie Magazin“ schreibt Anja Reinhardt schon seit 2018.

 

Kontakt:
presse@bv-osteopathie.de

Christoph Bellmann, Beirat des BVOs

Christoph Bellmann

Kurz nach seinem Abschluss zum Physiotherapeuten machte sich Christoph Bellmann 2003 selbstständig. Zunächst in eigener Praxis in Iphofen, später kam eine weitere in Markt Bibart hinzu. Er schloss sowohl eine Osteopathie-Ausbildung am Institut für angewandte Osteopathie (IFAO) ab sowie ein Bachelor-Studium an der Steinbeis-Hochschule Berlin im Bereich Komplementärmedizin und Management mit der Vertiefungsrichtung Manuelle Medizin und Osteopathie (B.Sc.). Darüber hinaus erwarb er an der St. Elisabethen Universität Bratislava den D.O. Die Kinderosteopathie-Ausbildung und den Tiefencranio-Master ließ er sich universitär zertifizieren.

In seiner Praxis hat Christoph Bellmann sich schwerpunktmäßig auf Kinder und die Tiefencranio spezialisiert. Neben seiner Dozententätigkeit für die Freie Akademie für Osteopathie (FAFO) ist Bellmann Therapeut für Kinderosteopathie im Osteopathischen Kinder-Zentrum Filumi sowie als Prüfer für den Bundesverband Osteopathie e.V. – BVO im Einsatz. Den BVO unterstützt er darüber hinaus seit 2013 als Beirat.

Osteopath zu sein erfüllt ihn, daher möchte er mit seinem Engagement im Verband dazu beitragen, dass das Berufsbild Osteopath im Sinne der Osteopathen geregelt wird.

Kontakt:

christoph.bellmann@bv-osteopathie.de

www.bellmann-osteopathie.de