Basketball WM 2023: Osteopathie und Teamgeist

19.01.24
Ein freudestrahlender Frank Offermann mit dem Weltmeister-Pokal und der der WM-Medaille – Sieg für die deutsche Basketball-Nationalmannschaft.
Nicht nur die Basketball-Jungs feierten den WM-Titel: Auch das medizinische Team – allen voran BVO-Mitglied Frank Offermann – konnten ihre Freude über den Sieg nicht zügeln. Foto: Basti Sevastos

Basketball Weltmeisterschaft 2023: Deutschland holte überraschend den WM-Titel – zum ersten Mal. Das historische Final-Spiel gegen Serbien zeigt das ZDFsportstudio auf YouTube noch in voller Länge. BVO-Mitglied Frank Offermann war bei diesem historischen Sieg live dabei und berichtet im Interview mit dem BVO wie es hinter den Kulissen zuging – wie auch schon von der Basketball-EM 2022.

Der leitende Therapeut Frank Offermann im Interview

Herr Offermann, Sie waren wieder mit dem Kader der deutschen Basketballmannschaft unterwegs – zunächst im Trainingslager in Abu Dhabi, dann bei der WM auf den Philippinen, Japan und Indonesien. Kurz zusammengefasst: Wie war es?

Ich denke das kann man sehr gut in einem Wort zusammenfassen: Historisch! In der über 70 Jahre dauernden Geschichte der Weltmeisterschaften im Basketball (seit 1950) ist es Deutschland zum ersten Mal gelungen den Titel zu gewinnen. Der absolute Wahnsinn.

Eine Leistung, mit der niemand so im Vorhinein gerechnet hat und vielleicht nur in den kühnsten Träumen existierte. Ich denke ich spreche für meine Kollegen und auch die Spieler, wenn ich sage, dass man das so ganz immer noch nicht realisiert hat. Das wird sicherlich noch einige Zeit brauchen.

Basketball-Profi kurz vor der Behandlung im Hotelzimmer in Okinawa am Morgen. Ausblick auf die Bucht.
Früh am Morgen, kurz vor der osteopathischen Behandlung: Ein Ausblick aus der „Praxis“ in Okinawa, Japan. Foto: Frank Offermann

Hat sich die Mannschaft diesmal anders vorbereitet?

Die Vorbereitung auf so eine Meisterschaft fängt nicht nur in den wenigen Wochen vorher an. Jeder Spieler der Nationalmannschaft absolvierte natürlich die Saison in seiner jeweiligen Liga.

Wir haben uns etwa vier Wochen vor Beginn, Anfang August 2023, beim ersten Lehrgang in Bonn getroffen. Da merkte ich schon: Jeder einzelne Spieler kam in Topform zu dieser Vorbereitung!

Jeder hatte sich akribisch und individuell auf die Zeit des Wettbewerbs im Kraft- und Athletikbereich vorbereitet. Ich hatte mit einigen Spielern bereits während der Saison Kontakt. Daher wusste ich, dass sie gesund und nicht angeschlagen waren – war aber überrascht, dass alle anderen ebenso gut und fit waren. Das stimmte uns natürlich sehr zuversichtlich für die kommenden Aufgaben.

Wie sah die Vorbereitung zur Weltmeisterschaft für Sie im Speziellen aus?

Da ich mittlerweile die physiotherapeutische Leitung der Nationalmannschaft übernommen habe, war die Vorbereitung diesmal etwas intensiver. Es stand in Abu Dhabi, Japan und den Philippinnen eine Endmaßnahme an. Die sollte vier Wochen dauern und fand natürlich in Asien statt. Daher waren die Umstände noch einmal ganz anders für uns, wie wir es beispielsweise in Europa gewöhnt sind.

Wie können wir uns das vorstellen?

Es war unter anderem sehr wichtig, dass wir selbst alle Materialien und Ausrüstungsgegenstände mitnahmen. Wir mussten sehr akribisch planen und vorbereiten. Gleichzeitig wollten wir natürlich nicht unnötig Übergepäck mitnehmen.

Um nur einen kurzen Eindruck zu geben: Wir hatten

  • knapp 6 km Tape,
  • 30 kg Getränke- und Eiweißpulver,
  • ein Kühl- und Kompressionsgerät,
  • eine Stoßwelle,
  • drei Behandlungsbänke
  • und alles bis zum kleinsten Wundpflaster dabei.

Wir haben also alles mitgenommen, was man benötigt, um in einem Hotelzimmer möglichst optimal medizinisch-orthopädisch und physiotherapeutisch behandeln zu können. Insgesamt kamen wir so auf 150 kg Gepäck! Ein ganz schönes Brett.

Das Team bestritt in Abu Dhabi zwei Spiele gegen Griechenland und die USA. Welcher Gegner barg die größte Herausforderung?

Es ist mit Sicherheit sehr wichtig jeden Gegner voll anzugehen und gerade in einem Vorbereitungsspiel das Maximale für das vorliegende Turnier aus jedem Spiel zu lernen. Aber klar, das Spiel gegen die USA zum ersten Mal nach dem Olympiaturnier 2008, wo wir mit 49 Punkten Rückstand verloren haben, war natürlich etwas ganz Besonderes.

Seit ich im therapeutischen Team der Basketball-Nationalmannschaft bin, spielten wir zum ersten Mal gegen die US-Boys. Das war schon sehr beindruckend. Die amerikanischen Spieler haben einfach eine sehr beeindruckende Athletik und Spielfertigkeit. Wenn du denen beim Warm-up zusiehst, denkst du die springen bei jedem Dunking bis kurz unter die Hallendecke. Umso erstaunlicher war es, dass wir das Spiel mit unserer großartigen mannschaftlichen Geschlossenheit und Defense für 33 Minuten dominierten und zeitweise sogar mit 14 Punkten führten. Eigentlich konnte man da schon erkennen, dass sich da etwas Besonderes entwickelt.

Trotz der schlussendlichen Niederlage mit 99:91 konnten unsere Jungs mit gestärktem Selbstbewusstsein nach Japan reisen. Die Stimmung war gelöst und gleichzeitig sehr konzentriert. So etwas habe ich nach einem verlorenen Spiel eigentlich noch nie erlebt.

Wie oft waren Sie während der Vorbereitung im Einsatz?

Insgesamt dauerte die Nationalmannschaftssaison dieses Jahr sechs Wochen – wovon vier Wochen für die Endmaßnahme eingeplant war.

Da ich zu Hause mit drei kleinen Kindern und einer wunderbaren Frau natürlich einige Verpflichtungen habe, versuche ich generell die Abwesenheit von der Familie auf das Nötigste zu begrenzen. Daher bin ich tatsächlich erst zur Abreise nach Abu Dhabi zur Mannschaft gestoßen. Aber mit meinen Kollegen Joachim Kaufmann, der ebenfalls osteopathisch tätig ist, und Matthias Schmitt, auch Physiotherapeut, Stelios Zografakis, Holger Just und Lukas Lai haben wir ein großartiges Team, das die Vorbereitung fantastisch gemacht hat.

Sieg der Basketball-Nationalmannschaft: Frank Offermann und der ganze Stab rund um das Team freuen sich.
Sieg für das deutsche Team. Chef-Therapeut Frank Offermann freut sich extrem mit der „Natio“. Foto: Camera4, Tilo Wiedensohler

Hatten die Teams, die um den Weltmeistertitel kämpften, einen ähnlichen medizinischen und therapeutischen Stab dabei wie die deutsche Nationalmannschaft?

Das ist von Land zu Land sicherlich unterschiedlich, insgesamt glaube ich aber, dass wir da sehr gut aufgestellt sind. Tatsächlich wurden wir in diesem Jahr durch zwei weitere NBA-Therapeuten unterstützt, die mit ihren Spielern auch individuell während der Saison zusammenarbeiten. So waren wir insgesamt vier Therapeuten, die für die Mannschaft zuständig waren. Ein absoluter Luxus für Spieler und Therapeuten. So konnten wir jeden einzelnen Spieler deutlich länger behandeln und ich bin mir sicher, dass das insgesamt zum Erfolg beigetragen hat.

In der Kabine ist das medizinische Team der deutschen Basketball-Nationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 2023 noch entspannt.
Das medizinische Team der deutschen Basketball-Nationalmannschaft war zur WM 2023 sehr gut eingespielt (v.l.n.r.): Chef-Therapeut und BVO-Mitglied Frank Offermann, Teamarzt Sport-Orthopäde Oliver Pütz, Teambetreuer Heikel Ben Meftah und Physiotherapeut Holger Just. Foto: Frank Offermann

Worauf fokussieren Sie sich als Therapeut während der Spiele?

Die Hauptarbeit ist während eines Spiels eigentlich getan und man hofft, dass möglichst alles gut geht. Die arbeitsreichsten Tage sind für den Osteopathen und Physiotherapeuten immer die „Off-Days“, also die Tage, an denen keine Spiele für die Jungs stattfinden.

Wir arbeiten dann an den Spielern, um deren Leistung und Form zu optimieren, wenden uns aber auch ausgiebig noch der ein oder anderen Problematik zu. Wir haben hier die nötige Ruhe, sodass die Behandlung auch mal etwas länger dauern kann. Eben ganz den Bedürfnissen des jeweiligen Spielers an diesem Tag entsprechend.

Ein Spieltag selbst ist immer sehr getaktet: Frühstück, Shootaround, Mittagessen, Mittagsschlaf, Snack, Anfahrt Spiel, Tapen, Warm-up, Spiel. Tatsächlich gibt es an diesen Tagen wenig Zeit zwischendrin noch zu behandeln. Das Spiel selbst läuft dann meist sehr automatisiert ab und die Spieler sind sehr im Tunnel. Wir versuchen schon noch Einfluss zu nehmen, wollen aber natürlich die Konzentration der Jungs nicht stören. Hier gehen wir sehr sensibel vor.

Beim Spiel selbst konzentrieren wir uns sehr auf die einzelnen Spieler „on-court“ und „off-court“: Wie sind die Bewegungsabläufe oder gibt es irgendwelche Auffälligkeiten? So können wir eine eventuelle Verletzung besser einschätzen und entsprechend reagieren. Oft bekommen wir den Spielablauf daher gar nicht so mit. Wir sind zu sehr auf die individuellen Spieler konzentriert.

Hatten Sie auch schon einen Einsatz direkt auf dem Spielfeld?

Tatsächlich musste ich in meiner Karriere erst einmal aufs Feld laufen. Unser Spieler Johannes Thiemann wurde im EM-Viertelfinale gegen Griechenland absichtlich von Giannis Antetokounmpo – auch „The Greek Freak“ genannt – mit dem Ellenbogen umgehauen und war liegengeblieben. Der wurde daraufhin des Feldes verwiesen. Ich glaube, ich wäre nach so einem Kanonenschlag auch nicht wieder aufgestanden, aber zum Glück war nichts Schlimmeres passiert und es gab nur ein Veilchen zur Erinnerung.

Was ist für Sie als Therapeut immer besonders aufregend bzw. herausfordernd, wenn Sie bei solch großen Events mit unterwegs sind?

Zunächst muss man sagen, dass die eigentliche Arbeit und die Tagesabläufe für uns Therapeuten bei den Maßnahmen immer gleich sind – ob man nun gegen „schwächere“ Teams spielt oder ein Halbfinale oder Finale bei einer WM gegen die USA oder Serbien bestreitet. Dennoch ist natürlich ein „Do or die“-Spiel bei einer WM etwas ganz Besonderes. Man spürt die Spannung im Team und die Freude bei jedem bei einem solchen Event dabei zu sein. Aber eine Weltmeisterschaft ist natürlich schon ein tolles Ereignis.

Das eine sind die Spiele auf großer Bühne, das viele Leute sehen und wo hervorragender Basketball gezeigt wird. Das andere sind aber auch die vielen Momente, die außerhalb des Scheinwerfers stattfinden. So sind beispielsweise alle Teams im selben Hotel untergebracht und verbringen die Wochen relativ intensiv miteinander und man kommt öfter ins Gespräch. So kann es sein, dass du plötzlich mit Superstar Luka Doncic im Aufzug stehst und man kurz quatscht. Auch der Essenssaal wird von allen Teams genutzt, sodass es hier zu einigen Begegnungen kommt. Interessant ist, dass es immer relativ friedvoll zugeht. Oft hat man unmittelbar nach einem Spiel noch die Essenszeit zusammen. Hatte man sich als Spieler während des Matchs noch erbittert bekämpft, so ist es in dieser Situation oft gelöst und harmonisch.

Jubelnd liegen sich die Jungs der deutschen Basketball-Nationalmannschaft und ihr Therapeut Frank Offermann in den Armen – nach einem Sieg gegen die Serben, der sie zum Weltmeister 2023 machte.
Am 10. September 2023 fuhr das Team der deutschen Basketball-Nationalmannschaft einen historischen Sieg ein: Es gewann 83:77 gegen Favorit Serbien und sicherte damit die Weltmeisterschaft. Die unbändige Freude darüber teilte Chef-Therapeut Frank Offermann (links) mit der Natio schon direkt nach dem Spiel auf dem Feld. Foto: Camera4, Tilo Wiedensohler

Am Ende der WM 2023 wurden die deutschen Jungs ja belohnt: Weltmeister im Finale gegen Serbien. Hätten Sie das erwartet?

Das Team war sehr gut und im Vorhinein hatten viele Experten den Deutschen eine gute Chance auf eine gute WM vorausgesagt. Intern war die Zielsetzung mit Sicherheit eine Medaille. Jedoch merkten wir von Spiel zu Spiel und von Erfolg zu Erfolg, dass diese Mannschaft mehr wollte und spürten, dass der Moment gekommen war, etwas „größeres als jeder Selbst“ erreichen zu können.

Das Team konnte brillant die Vorgaben von Trainer Gordon Herbert umsetzen und verbesserte das Zusammenspiel von Spiel zu Spiel. Hinzu kam ein unglaublicher Teamspirit, den ich so noch nicht erlebt habe. Das war eine absolut funktionierende Mannschaft. Jeder wusste, was seine Aufgabe im Spiel war – und jeder hat sie mit Bravour erledigt. Jeder Spieler ist aber auch für seine Mitspieler in die Presche gesprungen, wenn es mal nicht so gelaufen ist. Außerdem hatten wir eine wahnsinnig gute Bank, die immer bereit war und in so manchem Spiel absolut den Unterschied gemacht hat.

Wenn mich jemand fragt, wie man Weltmeister wird, so würde ich immer sagen: „So wie dieses Team sein. Das zusammensteht und sich füreinander zerreißt.“ Klar, du brauchst individuell sehr starke Spieler und eine sehr gute Tiefe im Kader. Aber es ist das Team, diese Verbundenheit zusammen Top-Leistung zu erbringen – genau das macht den Unterschied.

Eigentlich wusste ich schon nach dem USA-Spiel, dass wir, wenn jeder seine Leistung abruft, nicht mehr zu schlagen sind. Den Fokus auf diese Höchstleitung haben die Spieler nach dem USA-Spiel nicht mehr verloren und daher war mir klar, dass wir diesen Titel gewinnen konnten. Ein wahnsinniges Gefühl.

Steigt damit auch die Vorfreude auf Olympia 2024?

Klar. Die Qualifikation für die Olympischen Spielen ist natürlich das i-Tüpfelchen auf einen schon perfekten Sommer letztes Jahr. Das ist für alle Spieler etwas ganz besonderes und sie fiebern dem Turnier entgegen. Wenn man sich erinnert wie Dirk Nowitzki 2008 die Fahne tragend mit leuchtenden Augen ins Stadion lief, kann man sich ungefähr vorstellen, welche Bedeutung das für einen Sportler hat bei den Olympischen Spielen teilzunehmen. Das können schon sehr erfolgreiche NBA-Profis und Weltmeister sein, aber an den Spielen teilzunehmen ist ein absolutes Highlight einer Profi-Karriere.

Tipp: Basketball-WM 2023 Doku auf YouTube

Lucas Kröger vom DBB und Basti Sevastos begleiteten die Basketball-Nationalmannschaft 2023 sehr intensiv mit ihrer Kamera. „Die beiden sind voll ins Team integriert und so fiel es gar nicht auf, wenn sie bei Teambesprechungen in der Kabine, im Bus oder im Behandlungsraum dabei sind“, sagt Frank Offermann. „So konnten sehr, sehr viele authentische Szenen mit den Spielern entstehen, weil sie ungezwungen und entspannt waren.“

Das Material dieser Zeit hat der Deutsche Basketball Bund in der sechsteiligen Doku „Ein Sommer – Mit der Natio um den Globus“ zusammengestellt, die auch auf YouTube einsehbar ist. „Mein Favorit ist natürlich der letzte Teil in Manila, wo wir schlussendlich Weltmeister werden“, verrät Chef-Therapeut Offermann. „Es gibt eine lange Sequenz mit Szenen aus der Kabine – nach dem Sieg. Das ist wirklich sehr emotional und hier kommt bei mir auch immer noch das ein oder andere Tränchen.“

Quellen:



Interessantes über den/die Autoren


Frank Offermann

Frank Offermann

Foto: bastisevastos

Nach beiden Studiengängen zum „Bachelor of Fysiotherapie“ in Heerlen, Niederlande, und zum „Master of Clinical Physiotherapy (Manipulative Therapy)“ in Perth, Australien, arbeitete Frank Offermann zunächst in der Kölner MediaPark Klinik im Bereich der Sportrehabilitation von PhysioSport.

Mittlerweile führt er seit über 10 Jahren eine eigene Praxis in Köln und betreut sowohl die deutsche Schwimm- als auch die Basketball-Nationalmannschaft als osteopathischer Therapeut.

 

Kontakt:
Frank Offermann
Theranova Physiotherapie
Hohenzollernring 57
50672 Köln
www.theranova-koeln.de

Jacqueline Damböck, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des BVOs

Jacqueline Damböck

Von Kindesbeinen an hat Jacqueline Damböck mit Gesundheitsthemen zu tun: Aufgewachsen in einer Massagepraxis und später Physiotherapie hat sie sich daneben schon immer für Medien und den Journalismus interessiert. Nach der kaufmännischen Ausbildung im Verlag absolvierte sie daher das Ressortjournalismus-Studium mit Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach.

Im Anschluss sammelte Sie Erfahrungen als Fachredakteurin, freie Journalistin und Werbetexterin. Bevor sie zum BVO wechselte war sie Chefredakteurin der CO.med.

 

Kontakt:

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