Osteopathie trifft Taekwondo
08.06.22Was haben Osteopathie und Taekwondo gemeinsam? Beide Disziplinen verfolgen grundsätzlich einen ganzheitlichen Ansatz – Körper und Geist arbeiten eng zusammen. Mit osteopathischen Techniken können Sportler unterstützt werden, um gute Leistung zu erzielen – zum Beispiel zu Weltmeisterschaften. BVO-Mitglied Markus Wittek ist der verantwortliche Therapeut der Deutschen Taekwondo Nationalmannschaft und hat diese vor Kurzem auf die Meisterschaften nach Südkorea begleitet.
Taekwondo ist eine koreanische Kampfkunst, in der Fußtechniken dominieren. Die Technik ist auf Schnelligkeit und Dynamik ausgelegt. Eine harmonische Einheit aus Körper und Geist ist beim Taekwondo daher unerlässlich. Doch wie kann die Osteopathie Athleten unterstützen? Im Interview gibt BVO-Mitglied Markus Wittek einen Einblick – ebenso wie es ist als verantwortlicher Therapeut den deutschen Taekwondo-Kader bei Meisterschaften betreuen zu dürfen.
Herr Wittek, was schätzen Sie besonders an Taekwondo?
Im Wesentlichen die Essenz des Taekwondo: Die Vermittlung von Werten wie Selbstdisziplin, Mut, Durchhaltevermögen, Respekt, Höflichkeit, Kontrolle und Toleranz. Es geht darum, Körper und Geist Festigkeit zu geben, besser in sich selbst zu stehen. Und das nicht zuletzt natürlich durch den Aspekt der Fitness: Das Training von Kraft, Beweglichkeit, Ausdauer, Koordination, Reaktionsfertigkeit und Geschwindigkeit.
Sie tragen selbst den dritten von zehn Meistergraden im Taekwondo und waren jahrelang Trainer. Was empfinden Sie als besondere Herausforderungen des Sports?
Den Sportsgeist wortwörtlich erleben zu können, der die Schülerinnen und Schüler mit Elan und Freude wieder ins Dojang zurückkehren lässt. Für mich persönlich geht es sehr um die Wahrung der Tradition – und eben um die bereits genannten Werte.
Schon seit 10 Jahren betreuen Sie das Team der Deutschen Taekwondo Nationalmannschaft. So auch zur Weltmeisterschaft vom 21. bis 24. April 2022 in Goyang (Seoul), Südkorea. Wie sind Ihre Eindrücke von den Meisterschaften?
Jede Meisterschaft ist ein Erlebnis für sich. Besondere Momente gibt es natürlich, so z.B. geschehen in Wladiwostok, als ein Sportler direkt vor dem Gang auf die Wettkampffläche eine akute Blockade seines Ellenbogens erlebte, ich diese direkt lösen konnte und er letztendlich mit seiner Partnerin Weltmeister wurde.
Ähnliches habe ich auch letzten November in Portugal mit einem anderen Athleten erlebt: Er hatte eine akute Blockade in der Halswirbelsäule. Nach meiner Intervention ist er dann sogar Europameister geworden.
Highlights außerhalb der Therapie sind natürlich die diversen Locations, die man im „normalen Leben“ vielleicht nie besucht hätte. Nur um ein paar zu nennen: z.B. Taschkent (Usbekistan), Aguascalientes (Mexico), Lima (Peru), Taipeh (Taiwan), Seoul und Goyang (Korea). Zwar sehe ich dort nicht viel von der Umgebung, aber zumindest war man mal da. 😉
Besonders war natürlich auch die letzte: Erst ca. drei Wochen vor Beginn der Weltmeisterschaft in Goyang war klar, dass die Deutsche Taekwondo Union ein Team nach Südkorea entsenden würde. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde die Quarantänepflicht für vollständig geimpfte Personen aufgehoben, allerdings auch nur mit einem bei Einreise gültigen, negativen PCR-Test sowie einem direkt bei Ankunft am Flughafen in Seoul durchgeführten, erneuten PCR-Test. Ebenso galt für den gesamten Aufenthalt in allen Bereichen eine Maskenpflicht und eine Testpflicht mittels Schnelltest, dessen Ergebnis täglich an das Organisationskomitee gemeldet werden musste. Trotz all dieser Maßnahmen war das Event sowohl großartig organisiert als auch beeindruckend – und die unerschütterliche Motivation der Mannschaft wurde mit zwei errungenen Bronzemedaillen durch Manfred Stadtmüller (Traditionelle Formen, s. Bild) und Adina Machwirth (Freestyle) belohnt.
Taekwondo ist anders als viele andere Sportarten darauf ausgelegt, dass Körper und Geist eng zusammenarbeiten. Diese ganzheitliche Philosophie ähnelt dem osteopathischen Ansatz – man arbeitet aktiv daran, den gesamten Körper in Balance zu bringen. Wie kann die Osteopathie speziell beim Taekwondo unterstützen?
Spezielle Behandlungstechniken für das Taekwondo kann ich nicht benennen. Mit der Osteopathie behandeln wir ja genau das gesamte „System“ – parietal ebenso wie viszeral und craniosakral. So ist sie ein wichtiges Instrument, um den Taekwondoin optimal zu betreuen.
Was sind Ihre Hauptaufgaben als Team-Osteopath?
Dafür zu sorgen, dass die Athletinnen und Athleten so optimal wie möglich körperlich und mental in der Lage sind, bei ihrer Aufgabe auf der Fläche ihr maximales Leistungspotenzial abrufen zu können.
Was dem Fußballer die Sehnenzerrung, ist dem Turner vielleicht ein verdrehtes Knie. Welche Beschwerden sind ganz typisch für die Sportler im Bereich Taekwondo?
Im Zweikampf sind das im Wesentlichen Prellungen des Vorfußes und Unterschenkels, Stauchungen oder auch mal ein verletzter Zeh. Im Technikbereich bemerke ich insbesondere Dysfunktionen des Beckens und der Hüfte mit entsprechender Auswirkung in der biomechanischen Kette. Für beide Bereiche gilt, dass durch mehrfach schnelle Rotationsbewegungen auch das Knie im Fokus steht.
Oftmals spielen die Nerven eine große Rolle vor einem Wettkampf. Leisten Sie als Osteopath auch mentale Betreuung?
Es liegt eher an der Ruhe, die man ausstrahlen und eben auch vermitteln sollte. Schließlich beeinflussen sich Körper und Geist bekanntermaßen reziprok.
Liegt der Schwerpunkt ihrer Arbeit eher vor dem Wettkampf oder danach? Oder ist beides gleichwertig?
Selbstverständlich gibt es Athletinnen und Athleten, die im Vorfeld schon intensivere Behandlung benötigen – schließlich handelt es sich um Leistungssport. Der Körper wird extrem beansprucht, was natürlich manchmal ein Tanz auf Messers Schneide sein kann. Während der Wettkampftage ist es eher der „Feinschliff“, der benötigt wird, um auch noch die letzten paar PS zu aktivieren. Aber: Nach dem Wettkampf ist vor dem Wettkampf.
Wird Ihnen auch Skepsis entgegengebracht, wenn Sie als offizieller Osteopath des Teams vorgestellt werden?
In keiner Weise. Die Osteopathie genießt inzwischen schon einen hohen Stellenwert. Es ist eher so, dass das Team um die Anwesenheit eines Osteopathen beneidet wird.
Kommt es häufiger vor, dass Sie auch andere Osteopathen auf Wettkämpfen treffen? Oder fallen Sie auf wie ein bunter Hund?
Bisher habe ich noch keinen weiteren Osteopathen bei den Wettkämpfen getroffen, bei denen ich zugegen war. Auffallen? Nein, denn die Arbeit findet ja in der Hauptsache im Hintergrund statt.
Danke für das Gespräch, Herr Wittek.
Markus Wittek
Markus Wittek hat ein Fachhochschulstudium der Physiotherapie auf der Hogeschool Midden Nederland in Utrecht absolviert und schloss mit dem Bachelor of Science (B.Sc.) ab. Berufsbegleitend machte er noch eine Ausbildung in Manueller Therapie auf der „Stichting Opleiding Manuele Therapie (S.O.M.T) Amersfoort.
In eigener Praxis ist er seit 2001 tätig. Seit 2008 ist er im Einsatz für die Deutsche Taekwondo Nationalmannschaft – hauptsächlich im Bereich Technik/Poomsae (DTU). Außerdem ist er seit 2016 für den bayerischen Taekwondo-Landeskader im Bereich Technik/Poomsae tätig (BTU).
Markus Wittek ist der Sohn von Irmgard Rhese-Wittek, die Anfang des Jahres von uns gegangen ist. „Ich werde ihre Arbeit und ihren Spirit aber weitertragen.“
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Interessantes über den/die Autoren
Jacqueline Damböck
Von Kindesbeinen an hat Jacqueline Damböck mit Gesundheitsthemen zu tun: Aufgewachsen in einer Massagepraxis und später Physiotherapie hat sie sich daneben schon immer für Medien und den Journalismus interessiert. Nach der kaufmännischen Ausbildung im Verlag absolvierte sie daher das Ressortjournalismus-Studium mit Schwerpunkt Medizin und Biowissenschaften an der Hochschule Ansbach.
Im Anschluss sammelte sie Erfahrungen als Fachredakteurin, freie Journalistin und Werbetexterin. Bevor sie zum BVO wechselte war sie Chefredakteurin der CO.med.
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